Schwangerschaft

Stellungnahme zum neuen NIPT

Nicht-invasiver Pränataltest bzw. Nicht-invasive Pränataldiagnostik

Stellungnahme zu NIPT aus Perspektive einer Fachberatungsstelle:
Katharina Kasper Stiftung

Die Katharina Kasper Stiftung berät und begleitet psychosozial seit 2002 im Kontext medizinischer Indikation zu PND, bei zu erwartender Behinderung und frühem Kindsverlust.

Sie verfügt über Erfahrung aus über 7000 Beratungsgesprächen in den Beratungsstellen Frankfurt und Dernbach. Dabei ist das Angebot offen, kostenfrei, individuell – auf Wunsch aufsuchend-.

Seit 16! Jahren beraten und begleiten die Fachberaterinnen den Umgang von schwangeren Paaren mit der Entscheidung für oder gegen PND und vorgeburtlichen Diagnosen. Sie bieten Zeit und Raum für die Reflektion der Konsequenzen für das eigene ´Weiterleben` und das `Überleben des Kindes`. Tragfähige Entscheidungen erfordern die individuelle Betrachtung des familiären und gesellschaftlichen Unterstützungsnetzwerkes. Das Angebot der Begleitung ist dabei unbefristet über die getroffene Entscheidung hinaus notwendig.

Exkurs:

Im Zuge der Stellungnahmen zur PID-Debatte war die ärztliche Leitung der Stiftung zu Expertenanhörungen auf Länderebene 2011 in Mainz geladen. Ethikkommissionen tagten, stritten, erkämpften über Monate einen Kompromiss zur eingeschränkten Zulassung der PID. Das Thema beherrschte die öffentlichen Medien. Im realen Alltag der Schwangeren/Paare und unserer Beratungstätigkeit spielt der Einsatz von PID eine marginale Rolle. 

ABER:

Nahezu zeitgleich – wie beiläufig – quasi durch die Hintertür- fast ohne öffentliche und Fachdiskussion – begann der Einsatz des neuen nicht invasiven Bluttestes (der Markenname der federführenden Herstellerfirma Lifecodex: Pränatest wurde leider immer mehr zum Synonym, sollte heute wegen der Vielfalt der Herstellerfirmen nicht im Fachkontext verwendet werden).
Exakter: NIPT als nicht invasive pränatale Testung.

Ab 2012 war dieser Test für den Einsatz der Testung auf Trisomie 13, 18, 21 ab der 12. SSW zugelassen und als IGeL-Angebot (individuelle Gesundheitsleistungen) in Klinik und Praxis für die Schwangeren zugänglich. Mit 250 000 € aus dem Wissenschaftsministerium war dessen Erprobungsphase gefördert worden. Argumente für die Förderung waren die Vermeidung von Aborten als Folge invasiver Diagnostik und von Spätabbrüchen infolge früherer Diagnostikoptionen.

Die Kosten betrugen zu Beginn 1000 € und wurden von den Frauen als Selbstzahlerinnen getragen bzw. in Einzelfällen von Kassen übernommen.

Die Bedeutung dieser Testung, so war uns in unserer Arbeit schnell klar, entwickelte sich zahlenmäßig und inhaltlich deutlich weitreichender als die PID.

Die Methode in ihrer Einfachheit der Anwendung, der hohen Akzeptanz durch die Frauen und nach und nach ebenfalls der Behandler gewann an Bedeutung.

Ethisches Nachdenken erfolgte – anders als bei der PID-Diskussion – im Nachhinein auf der Basis gesetzter Fakten – „im Rahmen einer Schadensbegrenzung“  -( hoch problematisch, allein schon die Begrifflichkeiten)

Die Bewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und die Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur  Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen (angesichts einer sicheren nicht invasiven Testung   der Schwangeren) war daraus eine logische Konsequenz:

Die Methode ist etabliert – sie hat ethisches Bemühen von hinten überholt – es gibt kein Zurück hinter den diagnostischen Fortschritt.

Wir sehen die Vorteile des risikofreien Hinweises auf einige Chromosomenstörungen mit der Möglichkeit der Vorbereitung auf ein Leben mit einem Kind mit Down-Syndrom oder die Vorbereitung einer palliativen Geburt.

Die Zulassung als Kassenleistung für die Testung auf Trisomie 21 ist im Sinne einer sozialen Gerechtigkeit nur eine logische Konsequenz:

Die Methode als technisches Mittel und medizindiagnostischer Fortschritt ist dabei ethisch indifferent. Sie birgt allerdings die große Gefahr, Entscheidungen über Elimination von vermeintlichen `Defiziten` zu provozieren.

Diagnosebezogene Selektion (Down-Hunting) und der gesellschaftlichen Druck, sich testen zu müssen und Konsequenzen aus Befunden zu ziehen, diese Entwicklung ist kaum aufzuhalten.

Sie wird gefördert durch einen Automatismus – ein Gießkannenprinzip in der allgemeinen kassenärztlichen Zulassung-, in dem eine verantwortete individuelle Entscheidung des Paares sowohl bei Testdurchführung als auch bei Entscheidungsfindung nach Befundmitteilung, schwer sicherzustellen ist.

Einen Automatismus, eine Normalisierung von selektiver Diagnostik kritisieren wir.
Wir fordern:

– hohe Sensibilität und einen differenzierten individualisierten Umgang mit der Methode

– eine klare medizinische Indikation (Alter, Vorbefunde, genetische Faktoren, psychosoziale Faktoren) und die Kombination mit sonographischer Diagnostik  durch eine pränatalmedizinische Praxis

– Information und Beratung über Durchführung und Konsequenzen dieser Methode mit Bedenkzeit und gute Kooperation der beteiligten Zentren mit psychosozialen Beratungsstellen

– bei fraglichen oder auffälligen Befunden ein unabhängiges psychosoziales Beratungsangebot, losgelöst vom Praxisbetrieb

– verpflichtender Ausbau qualifizierter (durch Krankenkassen oder Industrie refinanzierter) psychosozialer Fachberatungsstellen als Entscheidungsberatung (vor, während und nach PND) mit Expertise in Trauer/Abschiedsbegleitung

– Förderung des gesellschaftlichen Diskurses zu Adoptionsfreigabe bzw. in spezialisierte Pflegestellen als Alternative zum Abbruch

– Frühe gesellschaftliche `Prävention` – `Diskussion` z.B. in Schulen zu Menschenwürde und PND und Machbarkeit eines `perfekten Kindes`

-Einbeziehung ethischer Fragestellungen zu Lebenswürde in die Ausbildung von schwangerschaftsbegleitenden Berufsgruppen

– eine reflektierte Haltung bei Ärzten und BeraterInnen zu Leben mit Beeinträchtigung als integrative Forderung an Professionalität

-Fortsetzung des Inklusionsansatzes für Menschen mit Behinderung

Dernbach, 06.12.2018

Ärztliche Leitung: Prof. Dr. med. Ursula Rieke
Ltd. Stiftungsvorstand: Sr. M. Annemarie Pitzl ADJC

Fachbeirat:
Barbara Heun, Dipl. Sozialpädagogin, Supervisorin i.R., Frankfurt
Prof. Dr. Martin Klose, Moraltheologe, Mainz,
Georg Ramb FA für (Sozial)Pädiatrie Höhr-Grenzhausen;
Dr. med. Gerald Weber, FA für Gynäkologie und Geburtshilfe/Pränatalmedizin, Mannheim

Nach oben scrollen